Donnerstag, 29. Januar 2015

Glück und Last der Erstgeborenen

Glück und Leid der Erstgebohrenen

Glück und Last der Erstgeborenen
Erstgeborene, „Sandwichkinder“ und Nesthäkchen – die Geschwisterkonstellation beeinflusst und formt Menschen. Kinder werden – in Abhängigkeit der Position innerhalb des Familiengefüges – unterschiedlich geprägt, fühlen sich mit verschiedenen Erwartungen und Anforderungen konfrontiert und nehmen sich anders wahr. Doch was sind – generell betrachtet – die Vor- und Nachteile der Erstgeborenen?
Die ungeteilte Aufmerksamkeit
Das erstgeborene Kind kommt zur Welt – das bedeutet für die meisten Eltern das Ende einer langen Phase der Vorbereitung und des Wartens auf das Kind. Es bekommt die ungeteilte Aufmerksamkeit und Liebe zu spüren und kann zunächst rund um die Uhr von den Eltern versorgt werden. Eventuell sind die frischen Eltern im Umgang mit ihrem Baby zunächst auch noch etwas unsicher, auf jeden Fall ist jeder noch so kleine Entwicklungsschritt für sie etwas Neues, etwas bisher noch nie Erlebtes. Die kleinen Entwicklungsschritte werden stolz beobachtet und gefeiert und mit sehr viel Aufmerksamkeit bedacht.
Die Entthronung
Wird nun ein zweites Kind geboren, haben die erstgeborenen Kinder oft mit dem Verlust der Aufmerksamkeit, die sie bis dahin alleine genießen konnten, schwer zu kämpfen. Eifersucht auf das neue Baby äußert sich auf verschiedenen Wegen: Aggressionen gegen den vermeintlichen „Eindringling“, Schwierigkeiten beim Einschlafen, Bettnässen oder anderes auffälliges Verhalten können direkte Folgen sein. Auch als Erwachsene haben Erstgeborene oft noch unter diesem kindlichen Schmerz zu leiden, der sich bis dahin in verschiedenen Formen manifestiert haben kann. Es ist schwer, das Kind vor dieser oft ersten tiefen Frustration zu beschützen, doch können spezielle Aufmerksamkeit und je nach Alter des Kindes auch Gespräche helfen, die Situation positiv zu gestalten.
Das große Kind, das schon alles kann
Da erstgeborene Kinder naturgemäß durch den Altersvorsprung den jüngeren Geschwistern in den zu erwerbenden Fähigkeiten und der Entwicklung im Regelfall voraus sind, bekommen sie hierfür oft den Stolz und die Bestätigung der Eltern zu spüren. Jedoch wird den Großen oft auch schon deutlich mehr zugemutet und sie werden mit sehr viel mehr Pflichten belastet – wichtig ist es hier darauf zu achten, den Kindern im Gegenzug auch mehr Rechte oder Privilegien einzuräumen.
Aber auch die Jüngeren können von den bereits erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten ihrer älteren Geschwister profitieren. Diese könnten beispielsweise ihren kleinen Geschwistern beibringen, sich die Schuhe zuzubinden oder sich anzuziehen. In erster Linie lernt dadurch natürlich das jüngere Kind etwas, doch laut verschiedener Forschungen fördert dieses „Lehren“ die älteren Kinder ebenfalls deutlich.
Den Weg für die Geschwister ebnen
Auch für die Eltern ist das große Kind in einer Familienkonstellation oft das erste Kind, auch sie müssen also ihre eigenen Grenzen in punkto Erziehung ein erstes Mal abstecken. Gerade bei jugendlichen Erstgeborenen führt das oft zu recht großen Konflikten und einem rebellischeren Verhalten als bei den jüngeren Kindern. Sie merken, dass für die Eltern vieles noch neu ist: wie viel Taschengeld soll gezahlt werden, wie lange dürfen die Jugendlichen außer Haus bleiben etc.
All diese Themen müssen ausgelotet werden. Somit wird für die jüngeren Kinder dieser Kampf oftmals schon mitgekämpft: Wenn die gleichen Themen bei den Jüngeren aktuell werden, ist die Position der Eltern zu diesem Thema schon genauer definiert und sie haben Vergleichs-möglichkeiten.
Großer Bruder, große Schwester
Nicht unwesentlich ist natürlich auch die Geschlechterkonstellation. Hier findet Rivalität oft anders statt und die Kinder stehen in einem anderen Kontrast zueinander. Ältere Jungen fallen vor allem für jüngere Schwestern oft in eine Beschützerrolle, während ältere Schwestern ihre jüngeren Brüder tendenziell eher bemuttern. Meist ist die Rivalität vor allem ab dem Alter von drei Jahren deutlich geringer, wenn das zweite Kind nicht das gleiche Geschlecht hat wie das erste Kind.
Ich denke, dass es für Eltern sehr wichtig ist, sich mit den Gegebenheiten, die die Kinder aufgrund der Familienposition erleben, auseinanderzusetzen und sich dieser bewusst zu werden. Zum einen können vielleicht einige „Fehler“ vermieden oder mögliche Probleme minimiert werden, zum anderen können so auch die Vorzüge, die sich aus den verschiedenen Positionen ergeben, genutzt werden. Nicht zuletzt können aber auch viele Eltern so etwas über sich selbst und ihre eigene kindliche Prägung lernen.
Die Autorin Juliane Schneider ist Studentin der Afrikawissenschaften und hat schon im Bereich Kinder- und Jugendpsychiatrie gearbeitet

Samstag, 15. November 2014

positiv erziehen

Positive Erziehung – Wir sind Eltern! Was nun?

Fallschirm

Wir sind Eltern! Was nun?

Die Rolle als Mutter oder Vater eines Kindes ist eine sehr verantwortungsvolle und auch fordernde Rolle, auf die wir im Normalfall nicht oder nur wenig vorbereitet werden. Sind wir dann Eltern, so müssen wir meist durch „Versuch und Irrtum“ herausbekommen, wie wir unser Kind erziehen wollen oder können. Dabei müssen wir uns auch Gedanken darüber machen, was uns in der Erziehung unseres Kindes überhaupt wichtig ist, welche Werte wir weitergeben wollen und welche Fertigkeiten und Verhaltensweisen wir bei unserem Kind fördern wollen. Eine „richtige“ oder „falsche“ Methode, Kinder zu erziehen, gibt es nicht. Wir als Eltern können entscheiden, welche Methode gut zu uns und zu unseren Kindern passt.

Die Erziehung eines Kindes kann manchmal wirklich schwierig sein…
Die meisten Eltern kommen dabei jedoch auch an Grenzen und erleben Momente, in denen sie sich überfordert oder auch hilflos fühlen. Zu diesen Situationen gehören beispielsweise kindliche Wutanfälle, Aggressionen, Ungehorsam, Probleme beim Schlafen oder beim Essen und andere Schwierigkeiten, die Eltern immer wieder erleben. Hilfreich ist es nun, sich über günstiges und ungünstiges Erziehungsverhalten bewusst zu werden.
Was brauchen wir für glückliche Eltern und für glückliche Kinder?
Die Grundlage für eine glückliche Elternschaft und eine gute kindliche Entwicklung ist eine positive Beziehung zwischen uns als Eltern und unserem Kind. Eine gute Beziehung können wir beispielsweise dadurch aufbauen, dass wir wertvolle Zeit mit unserem Kind verbringen. Das können im Laufe des Tages auch mehrmalige kleine Zeiträume von einigen Minuten sein, wichtig ist nur, dass wir in dieser Zeit mit unserer ganzen Aufmerksamkeit beim Kind sind. Wenn wir dabei mit unserem Kind über unsere eigenen Gedanken und Gefühle reden und vor allem auch über das, was unser Kind interessiert und beschäftigt, so zeigen wir ihm auch, dass wir uns für es interessieren und fördern so sein Selbstwertgefühl und seine sozialen Fähigkeiten. Daneben sollten wir unserem Kind unser Interesse und unsere Zuneigung auch körperlich (durch Streicheln, Umarmen, Küssen, Herumtoben etc.) zeigen. Vor allem in den ersten Lebensjahren ist dies sehr wichtig, um eine feste und sichere Bindung zwischen Eltern und Kindern aufzubauen. Gleichzeitig sollten wir als Eltern auch unsere eigenen Bedürfnisse nicht vergessen. Nur wenn wir unsere eigenen Bedürfnisse (beispielsweise nach Intimität mit unserem Partner, nach Geselligkeit, Erholung oder Zeit für uns selbst) erfüllt haben, können wir auch geduldig und liebevoll für unser Kind da sein.

Die „positive Erziehung“ als guter Weg
Die „positive Erziehung“ kann uns nun helfen, unser Kinder dabei zu unterstützen, seine Fähigkeiten zu entwickeln und ein positives Selbstbild aufzubauen. Dazu benötigen wir eine sichere Umgebung für unser Kind, also beispielsweise eine Wohnung, in der wir unser Kind unbesorgt herumkrabbeln und spielen lassen können (indem wir beispielsweise gefährliche Bereiche durch Gitter o. ä. unzugänglich machen), und gleichzeitig eine interessante Umgebung, in der unser Kind spielen und sich ausprobieren kann. Dabei sollten wir unser Kind ermutigen, Dinge selbst auszuprobieren und es so unterstützen, Neues zu lernen. Wenn wir unserem Kind Aufmerksamkeit schenken, wenn es etwas tut, was uns gefällt, so wird es dies mit großer Wahrscheinlichkeit wieder zeigen! Wir sollten unser Kind in solchen Momenten deshalb immer explizit loben. Tut unser Kind jedoch etwas, was uns nicht gefällt, so sollten wir immer und sofort darauf reagieren und ihm beibringen, wie es sich stattdessen verhalten soll. Nur so kann unser Kind lernen, selbst Verantwortung für sein Verhalten zu übernehmen. Dabei ist es sinnvoll, dass unser Kind und auch wir als Eltern klare Familienregeln haben. Diese Regeln sollten positiv formuliert und gut durchsetzbar sein. Am besten ist es, wenn wir einige wenige Regeln haben, so dass wir und unser Kind nicht überfordert sind mit einer Vielzahl an Regel, die wir bzw. es gar nicht einhalten können. Bei einem Verstoß gegen eine der Regeln hat es sich bewährt, ruhig zu bleiben, die Aufmerksamkeit des Kindes zu gewinnen (beispielsweise durch Herunterbeugen auf Augenhöhe und Nennen des Namens), das Kind direkt auf den Verstoß anzusprechen und ihm klar und deutlich zu sagen, was es tun soll. Gehorcht unser Kind, so sollten wir es sofort loben. Gehorcht es nicht, so gibt es die Möglichkeit einer logischen Konsequenz (beispielsweise werden die Stifte für 5-10 Minuten weggenommen, wenn das Kind den Tisch anmalt) oder, bei schwerwiegenderem Problemverhalten, einer kurzen (je nach Alter des Kindes von 2 bis zu 10 Minuten langen) Auszeit in einer sicheren, aber uninteressanten Umgebung (in dieser Zeit sollten wir unserem Kind also auch keine Aufmerksamkeit schenken und es sollte keine Spielmöglichkeiten haben!). Für die Auszeit sollten wir unserem Kind bereits im Vorfeld klare Regeln erklärt haben. Nach der Auszeit sollten wir unser Kind wieder ausdrücklich loben, sobald es ein Verhalten gezeigt hat, dass den Familienregeln angemessen ist.

Ein Statement für das „Unperfekte“!
Wir sollten jedoch auch nicht zu viel von unserem Kind erwarten und immer seine jeweilige Entwicklung berücksichtigen. Jedes Kind ist dabei auch ganz unterschiedlich! Und weder wir als Eltern noch unsere Kind sind (bzw. sollten) „perfekt“ sein. Ganz im Gegenteil machen wir alle Fehler und die meisten Fehler werden nicht mit Absicht gemacht und sind ein Anlass, um durch neue Erfahrung zu lernen.
Die Autorin Lena Hasenmaile ist Erziehungswissenschaftlerin und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin i. A.
Quelle: Markie-Dadds, C., Sanders, M. R., Turner, K. M. T.: `Das Triple P Elternarbeitsbuch. Der Ratgeber zur positiven Erziehung mit praktischen Übungen.´, deutsche Bearbeitung durch das PAG Institut für Psychologie AG, Verlag fürPsychotherapie, Münster 2003.

Dienstag, 11. November 2014

Depressive Eltern

Kinder mit depressiven Eltern

Kinder mit depressiven Eltern(1)
Seitdem Maria denken kann, hing über ihrer Familie immer eine dunkle Wolke. Manchmal war die Wolke so dunkel und die Stimmung so bedrückt, dass gerade sie als Kind das Gefühl hatte, alles falsch gemacht zu haben. Es gab Tage, da war ihre Mama viel im Bett, aber trotzdem hatte sie es immer geschafft, Maria ein Pausenbrot zu schmieren und sie fertig zu machen.
Die Auseinandersetzungen zwischen ihren Eltern bekam sie als Kind trotz allem regelmäßig mit. Der Vater, der nie anwesend und die Mutter, die depressiv war. Die Sucht zum Alkohol war sehr groß und leider hatte das meist negative Folgen, die Vernunft hatte keine Chance: Marias Mama wurde redselig und ihr Papa aggressiv. Irgendwann erzählte ihre Mama ihr wie unglücklich sie sei und dass sie sich nicht aus der Ehe retten konnte wegen Maria. Also lastete die Schuld auf Marias Schultern.
War sie schuld an dem unglücklichen Leben, das ihre Eltern führten? Hatte sie irgendetwas falsch gemacht? Wäre das Problem ohne sie vielleicht gar nicht da? Fragen über Fragen und keiner konnte Maria diese beantworten. Denn sie wollte nicht, dass irgendjemand von ihrem Problem erfuhr. Denn das Bild der heilen Familie sollte ja bestehen bleiben, zumindest für die Außenwelt.
Irgendwann erzählte Marias Mutter ihr, dass sie nicht mehr leben wolle, sie wolle sich umbringen. Oh Gott, ist es das was ein Kind hören will von seiner Mama? Von dem Vorbild, was sie eigentlich darstellen sollte? Und immer wieder diese Frage, die in Marias Kopf rumgeistert: „Wäre es nicht eigentlich besser, wenn ich nicht mehr da wäre?“ Maria war schließlich groß genug um dies alles mitzubekommen. Die Last auf ihren Schultern wurde immer größer und die Sorge wuchs. Je größer sie wurde, umso mehr begriff Maria. Sie verstand, dass nicht sie diejenige war, die sich Vorwürfe machen musste – nein, sondern ihre Eltern.
Sie fing an mit ihrer Mama zu reden, sagte ihr, dass es so nicht weitergehen konnte. Sie machte ihrer Mutter verständlich, dass sie so auch total unglücklich war. Wenn ihre Mutter noch einmal zu ihr sagen sollte, dass sie sich umbringen wolle, würde Maria ihr antworten: „Na, dann mach es doch“. Natürlich meinte sie das nicht so, sie liebte ihre Mama über alles. Aber Maria hatte die Hoffnung, dass sie ihrer Mutter die Augen öffnen und ihr damit zeigen konnte, dass sie dringend Hilfe brauchte.
Trotz allem war Marias Mutter für sie in den schwierigsten Situationen immer da, sie half ihr wo sie nur konnte, sie brachte ihr alles bei, was ein Kind wissen und können musste. Aber diese dunkle Wolke herrschte weiterhin über ihrer Familie. Maria versuchte ihre Mutter zu unterstützen. Sie nahm sie bei der Hand und sagte ihr, dass sie als Familie das gemeinsam schaffen könnten. Diese Situation war das Schlüsselerlebnis, daraufhin ging Marias Mutter zu einer Neurologin/Psychiaterin. Dort fing ihre Mutter endlich an zu reden und bekam ein Antidepressivum, welches sie regelmäßig einnehmen sollte. Damit wurde die Gesamtsituation besser – ihre Mutter lachte mehr und lag nicht mehr nur in ihrem Bett. Auch die Beziehung zwischen ihren Eltern bekam neuen Wind. Ihre Eltern küssten sich beim „Guten Tag“-Sagen und beim Verabschieden, hielten sogar unterwegs wieder Händchen. Maria freute sich sehr darüber und bekam auch wieder neuen Mut, selbst irgendwann eine Familie zu gründen. Wenn Kinder mit depressiven Eltern groß werden, dann muss allen klar sein, dass die Betroffenen aber auch die Kinder Hilfe brauchen. Denn besonders die Kinder sind es, die im Stillen darunter leiden. Sie bekommen mehr mit als wir Erwachsenen ahnen.
Die Autorin des Artikels arbeitet in einer kinder- und jugendpsychiatrischen und -psychotherapeutischen Praxis.

Donnerstag, 9. Oktober 2014

Ängste bei Kindern können auch von bösen Menschen verursacht werden


Wenn Kinder mit Fremden mitgehen – meine Geschichte, wie sie alltäglich passieren kann

Wenn Kinder mit Fremden mitgehen – meine Geschichte, wie sie alltäglich passieren kann
Ich war acht Jahre alt. Jeden Nachmittag nach den Hausaufgaben waren wir Kinder verabredet – zum Spielen auf dem Spielplatz. Ich war an diesem Tag die erste und wartete auf meine Freunde. Währenddessen schnitzte ich zum Zeitvertreib mit einem Taschenmesser, das ich kurz vorher von einem Schulfreund geschenkt bekommen hatte, an einem Stück Ast herum.
Das war der Nachmittag, an dem „er“ vorbeigelaufen kam. Mein kindlicher Instinkt sagte mir gleich „dieser Mensch ist böse“. Leider bin ich nicht weggerannt…
Der erste Kontakt – ganz harmlos
Er sprach mich an und fragte mich, woher ich dieses Messer hätte. Ich antwortete ihm ehrlich, es sei ein Geschenk gewesen. Anschließend fragte er mich, ob ich noch Geschwister hätte und auch diese Frage beantwortete ich – mit Ja. In diesem Moment wendete sich ganz plötzlich das Blatt.
Die Freundlichkeit schlägt um in Drohungen
Aus seinen zunächst vordergründig interessierten Fragen wurden auf einmal heftige Beschuldigungen. Er behauptete, dass ich das Messer aus der Werkstatt seiner Eltern gestohlen hätte! Wenn ich nicht sofort mit ihm mitginge, würden meine Eltern angezeigt werden und ins Gefängnis kommen. Für meine Schwester und mich bliebe dann nur der Weg ins Heim.
Angst um die Familie und Angst um sich selbst
Dieser Mensch, der damals auch noch nicht sehr alt war, schätzungsweise 16 Jahre alt, hatte mich da, wo er mich haben wollte. Ich bin mitgegangen…
Er war mir in der Situation überlegen und hatte mich raffiniert mit einer dreisten Lügengeschichte unter Druck gesetzt und bedroht. Die Angst war so groß, dass ich das tat, was er verlangte.
Warum schweigen die Opfer oft lange?
Diese Erfahrung kostete mich sehr viel Vertrauen. Aus einer selbstständigen, lebensfrohen Schülerin war wieder ein kleines, hilflos ängstliches Mädchen geworden, das von ihren Eltern zur Schule gebracht und wieder abgeholt werden musste. Ich wollte, ja konnte sogar lange Zeit nicht mehr runter zum Spielen. Bei jeder Fremden Person, die mir entgegen kam, hatte ich Angst.
Natürlich bemerkten meine Eltern wie ich mich verändert hatte, doch ich wollte ihnen nichts erzählen. Ganz gleich wie sehr meine Mama versuchte, etwas aus mir herauszubringen, es funktionierte nicht.
Aus meiner heutigen Sicht war es noch zu früh, etwas zu erzählen, je mehr ich bedrängt wurde, umso mehr verschloss ich mich. Heute verstehe ich, dass es weniger die Angst um mich selbst war, sondern die Angst um meine Familie. Der „Täter“ bedrohte in meinen Augen vor allem meine Eltern! Ich fühlte mich verantwortlich dafür, dass sie nicht mit Gefängnis rechnen mussten, obgleich ich doch wusste, dass alles eine Lügengeschichte war.
Was kann ich als Elternteil tun?
Viele Kinder verschließen sich in einer vergleichbaren Situation zunächst und haben Angst vor den Konsequenzen, vor allem weil sie nicht wissen, welche Konsequenzen ihnen bevorstehen. (Mir war damals auch nicht klar, dass eine Gefängnisstrafe für meine Eltern eine völlig unrealistische Drohung war, dass meine Eltern die Polizei hätten einschalten können usw.)
Wichtig ist: Verstehen Sie das Schweigen nicht als Zeichen von mangelndem Vertrauen – ich vertraute meinen Eltern damals sehr. Geben Sie aber Ihren Kindern Zeit, wenn Sie Veränderungen bemerken, bedrängen Sie sie nicht.
Mögliche Anzeichen für eine Bedrohungssituation oder einen Missbrauch
Versuchen Sie, aufmerksam und sensibel zu sein und mögliche Anzeichen für eine Bedrohungssituation oder gar im schlimmsten Fall einen Kindesmissbrauchs wahrzunehmen:
– Das Kind meidet plötzlich bestimmte Orte und/oder Personen.
– Es zeigt Unlust oder vermeidet sogar, mit anderen Kindern zu spielen.
– Es wird ungewohnt aggressiv gegen sich selbst und/oder andere.
– Es verletzt sich selbst vorsätzlich.
– Es zieht viele Kleidungstücke übereinander an, trägt auf einmal viel zu große Kleidungsstücke, um sich unattraktiv zu machen, o. Ä.
– Als Mädchen schminkt es sich plötzlich auffällig und kleidet sich nicht altersgemäß körperbetont.
– Das Kind zeigt ein frühreifes Verhalten und übermäßige sexuelle Neugierde.
– Es macht anzügliche Bemerkungen, die bisher nicht seiner Art oder seinem altersgemäßen
Wortschatz entsprechen.
– Es spielt dem Alter unangemessene Spiele mit sexuellem Hintergrund.
– Es malt Bilder von Geschlechtsteilen oder Missbrauchssituationen, diese können auch verschlüsselt sein.
– Es exhibitioniert sich (versucht durch Bloßstellen der Genitalien, auf sich aufmerksam zu
machen).
– In der Schule machen sich plötzlich schwächere Leistungen bemerkbar.
– Es leidet unter Konzentrationsstörungen, chronischer Erschöpfung, extremer Müdigkeit.
– Es legt plötzlich ein ungewöhnliches Waschverhalten an den Tag, es hat das Gefühl der “Unreinheit” oder empfindet “ich bin schmutzig”.
– Es hat nachts Alpträume, schläft sehr unruhig und/oder wacht schreiend auf.
– Es nässt oder kotet sich plötzlich wieder ein.
– Es hat ohne erklärbare Ursache häufig Bauchschmerzen
Bitte beachten Sie immer, dass sämtliche Anzeichen für sich genommen auch ganz natürliche, normale Ursachen haben können – bleiben sie aufmerksam und sensibel im Kontakt mit dem Kind.

Quelle: http://www.projekt-kinderaugen.de/erkennen.html

Mittwoch, 1. Oktober 2014

Psychologie der Vorurteile

Mädchen können eh kein Mathe. Jungs sind laut und spielen Fußball -


Vorurteile, Klischees, in Schubladen denken und eben auch Stereotype sind alles verschiedene Ausdrücke, die im Grunde dasselbe bedeuten. Wir bilden uns eine Meinung über eine Situation oder einen Menschen ohne alle dazugehörigen Fakten zu kennen.
So ein vorgefasstes Wissen über bestimmte wiederkehrende Abläufe kann uns einerseits den Umgang miteinander ungemein erleichtern, andererseits ihn auch erschweren.
Beispielsweise hat vermutlich jeder von uns eine Vorstellung im Kopf, wie ein Restaurantbesuch ablaufen wird: Wir betreten das Restaurant, setzen uns, der Kellner bringt die Karte, geht wieder, nimmt die Bestellung auf, bringt das Essen und zum Schluss müssen wir bezahlen. Der Gast kann sich entspannen, weil er weiß was als nächstes auf ihn zukommt und seine Erwartungen erfüllt werden. Ein höheres Maß an Aufmerksamkeit bedarf es allerdings, wenn wir überrascht werden von einem nicht erwartungskonformen Restaurantbesuch, in dem wir uns zum Beispiel das Essen selbst an einem Grill zubereiten müssen oder bei dem der Kellner nicht an den Tisch kommt.

Ein erhöhtes subjektives Stressempfinden ist die Folge davon.
Auf der anderen Seite kann eine stereotype Einschätzung des Gegenübers die Kommunikation zwischen zwei Menschen auch erheblich verfälschen. Es sind schließlich nicht alle Blondinen doof, alle Brillenträger oberschlau und nicht alle kleinen Männer fahren ein großes Auto.
Unsere Vorurteile beeinflussen nicht nur unser Denken über die Mitmenschen, sondern haben auch Auswirkungen darauf, wie unsere Mitmenschen über sich selber denken und sich dementsprechend verhalten.

 Psychologische Forscher einer italienischen Universität ließen 60 Frauen einen schwierigen Mathematiktest durchführen. Der einen Hälfte wurde gesagt, dass Frauen bei diesem Test meist schlechter abschneiden als Männer, der anderen Hälfte wurden keine weiteren Informationen gegeben. Anhand der Ergebnisse in dem Mathetest konnte nachgewiesen werden, dass die Frauen, die mit dem negativen Stereotype über ihre Mathematikfähigkeiten konfrontiert wurden, tatsächlich auch eine schlechtere Leistung in dem Test gezeigt haben. Die Gruppe Frauen, die keine Vorinformationen erhalten hatten, erzielten bessere Ergebnisse.
Alleine das vermeintliche Wissen, dass man in einer Aufgabe schlecht abschneiden könnte, bringt uns dazu diese Vorhersage auch zu erfüllen.
Dieser Zusammenhang wird „selbsterfüllende Prophezeiung“ genannt.


Wohl die meisten Stereotype existieren allerdings über Männer und Frauen (z.B. „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken.“). Diese Vorurteile bestehen sehr häufig auch schon über Mädchen und Jungs. Jungs spielen gerne Fußball und raufen sich. Wenn sie das nicht tun, stimmt vielleicht etwas mit ihnen nicht? Mädchen spielen gerne mit Puppen und sind nur ganz selten frech. Und wenn doch? Werden sie dann härter bestraft als Jungs? „Die sind ja eben so.“

Die Individualität eines Menschen lässt sich nur sehr bedingt mit Stereotypen erfassen.
Nehmen wir uns die Zeit, die notwendig ist.

Im Übrigen wurde dieses Jahr wieder die höchste Auszeichnung in der Mathematik verliehen an die 37-jährige Frau Maryam Mirzakhani.

Die Autorin Leona Steinack ist Diplom-Psychologin und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin in Ausbildung.
Literatur
Cadinu, Maass, Rosabianca, und Kiesner (2005)

Montag, 22. September 2014

Wissenschaftliche Kinderpsychotherapie

Psychotherapie in einer  kinder- und jugendpsychiatrischen Praxis wird vorwiegend in einem multimodalen kinderpsychologischen Programm durchgeführt.

Die multimodale Kindertherapie – eine nach den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen der psychotherapeutischen und psychologischen Forschung entwickelte Therapieform – sucht nach den besten Ansatzpunkten und Therapiemethoden für die jeweiligen Probleme eines Kindes oder Jugendlichen. Daneben ist auch die Behandlung nach konventioneller Richtlinienpsychotherapie möglich.

Zu einem multimodal kinderpsychotherapeutischen Behandlungsteam gehören Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapeuten, Sozialarbeiter, Psychologen und künstlerische Therapeuten wie Kunst- , Musik- und Tanztherapeuten.

Gegebenenfalls können Funktionstherapien wie Ergotherapie, Logopädie oder Lerntherapie zusätzlich verordnet oder angeregt werden. Mit diesem gebündelten Know-how können geeignete Behandlungsmethoden und Settings für die Patienten individuell ausgewählt und miteinander verbunden werden.
Die fachärztliche Mitbehandlung innerhalb des multiprofessionellen Teams garantiert dabei eine erfahrene medizinische Abwägung der in Frage kommenden Diagnosen und die fachliche Anwendung eines breiten Spektrums von Behandlungsmöglichkeiten. Neben der Behandlung mittels psychologischer, funktionstherapeutischer und psychotherapeutischer Techniken können im Bedarfsfall zusätzlich auch Medikamente verordnet werden. So kann jeder Patient eine optimal individuell abgestimmte und auf mehreren Ebenen wirkende Behandlung erhalten:
  1. Im einzeltherapeutischen Setting arbeitet das Kind oder der Jugendliche mit einem festen Therapeuten. Arbeitsthemen können Tests, Gespräche, Übungen, Rollenspiele oder künstlerische Ausdrucksarbeit sein.
  2. Im Gruppensetting werden therapeutische Techniken in einer Gruppe von mehreren Kindern angewandt. Die Resonanz der Gleichaltrigen setzt verstärkt therapeutische Prozesse in Gang.
  3. Im familientherapeutischen Setting steht die wechselseitige Beziehung (Interaktion) zwischen den Familienmitgliedern im Blick. Psychoedukation, d.h. das Fördern des Verstehens der Ursachen der zu behandelnden Probleme und der daraus abgeleiteten Therapiemaßnahmen, hat zum Ziel den Umgang mit dem eigenen Problemverhalten zu verbessern.
Ein wichtiger Grundsatz der modernen Kindertherapie ist es, die Autonomie des Kindes zu stärken. Alle Therapievorschläge sollten in der Praxis daher eng mit dem Kind und seinen Eltern abgestimmt werden. Denn nur wenn alle Beteiligten von der Richtigkeit der empfohlenen Maßnahmen überzeugt sind, kann die Therapie ihre volle Wirksamkeit entfalten.
imagesDies betrifft auch den Einsatz von Medikamenten, welcher immer von psychotherapeutischen Massnahmen begleitet werden sollte. Viele Studien belegen, dass eine Behandlung mit Medikamenten die Wirkung der psychotherapeutischen Maßnahmen oftmals deutlich verstärken kann. Selbstverständlich wird die Kindertherapie in der Regel ohne Medikamente durchgeführt, insbesondere wenn diese nicht notwendig sind oder der Patient diese ablehnt. Aber auch wenn die Indikation für eine Medikation ärztlich gesehen wird sollt Als Kinder- und Jugendpsychiater und -psychothere dies nur ein Angebot darstellen und keinesfalls erzwungen werden. Die Aufgabe von Therapeuten ist es Behandlungsangebote zu machen und Wege zu finden, um an der bestehenden Problematik weiter zu arbeiten und das Ziel der Normalisierung im Auge zu behalten, auch wenn Widerstände auftreten.
Optimale Ergebnisse werden vor allem dann erreicht, wenn die Behandlung mit ihren verschiedenen Behandlungsmodulen, also im wesentlichen Einzeltherapie, Gruppentherapie, Familientherapie und mögliche Verordnungen, ausreichend lange wirken können. Probleme, die sich über eine lange Zeit entwickelt haben brauchen normalerweise auch eine längere Zeit bis sie überwunden werden können und der weiteren gesunden Entwicklung nicht mehr im Wege stehen. So wird im Verlauf von etwa drei bis fünf Jahren in vielen Fällen eine weitgehende Stablilisierung der Problematik erreicht, so dass keine weitere Notwendigkeit zur Behandlung mehr besteht.